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Der Kunsthandel Dr. Wilfried Karger zeigt neben der
ständigen Ausstellung figurativer Plastik eine
Kabinettausstellung mit Arbeiten aus der Werkgruppe
»Zeitgenossen« (2011 bis 2013) von Waldemar Otto.
»Die Zeitgenossen des weltberühmten Bildhauers sind
Kritiker, Künstler und Kuratoren, die Otto aus dem
Alltag holt« (Bild Bremen vom 16. Mai 2013). Es ist der
»Minimalist, den Nullpunkt anbetend«, der sich devot
einer Stange, dem Nullpunkt zuwendet, es sind die »Drei
Zeitgenossen«, aus Messingplatten ausgesägte Köpfe,
durch einen Rundstab miteinander verbunden,
ausgerichtet, gleichgeschaltet, es ist die »Sehr
hochtrabende Zeitgenossin«, es ist der »Kurator«, der
sich verkrampft mit beiden Händen die Ohren zuhält, es
ist der »Hut des Propheten«, ein Skelett mit dem
unverkennbaren Hut von Joseph Beuys auf dem Schädel, es
ist der »Installateur«, der gelangweilt auf die Stange
in seiner Hand schaut, vor sich einen Becher, es sind
die »Zwei Dogmatiker«, ausgerichtet, glatt und platt, es
ist das »Genie am Knetwerk«, das sich an einer
missratenden Plastik berauscht, es ist der »Designist«
in Betrachtung eines aufgesockelten leeren Gestells,
anders gesagt, des Kaisers neue Kleider, usw. usf., 24
Zeitgenossen insgesamt.
für größere Darstellung und
vollständige Werkangaben bitte
auf die Abbildungen klicken |
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Der Kurator |
Amorphist I |
Zwei Dogmatiker |
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Der Minimalist, den Nullpunkt anbetend |
Leichnam des Propheten |
Zweitgenossen |
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Amorphist II |
Drei Zeitgenossen |
Sakrileg |
Werkaufnahmen: Galerie Cohrs-Zirus,
Worpswede |
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Der Höhepunkt ist sicher die Plastik »Sakrileg«.
Waldemar Otto hat sich maßstabsgerecht das berühmte
Urinal von Marcel Duchamp aus dem Jahre 1917 aus
Porzellan nachbauen lassen und stellt davor eine in
dieses Heiligtum pinkelnde Figur, genussvoll dabei sich
im Spiegel betrachtend.
Das Pissoir von Duchamp und die Fettecke von Beuys haben
in der Folge das Kunstverständnis entscheidend
verändert.
Mit der in den Jahren 2011 bis 2013 entstandene
Werkgruppe »Zeitgenossen« reagiert Otto darauf. Sie
zeigt seine Sicht auf den »globalen Dilettantismus der
Modernisten«. Er setzt diese mit »spitzbübischer Freude,
in leiser und ironischer Weise« (Weser-Kurier vom 16.
Mai 2013) dem Mainstream des öffentlichen Kunstbetriebes
entgegen.
Den Verlust an Volumina in der zeitgenössischen
dreidimensionalen Kunst bedauernd, beraubt er nun selbst
seine »Zeitgenossen« ihrer Volumina, nur leicht treten
sie aus der Fläche heraus, erstmals sind Köpfe aus
Messingplatten herausgesägt. Die Gesichter sind nur
eingeritzt, dennoch mit typischen Merkmalen. Die von
Otto seit langem praktizierte Schaffensweise des
Modellierens mit Wachstafeln steigert er in dieser
Werkgruppe fast bis zur reinen Fläche, und kritisiert
damit gleichzeitig den Verlust an Plastizität des
aktuellen Kunstgeschehens. Otto war immer ein
dialektischer Denker.
Er fühlt sich mit Botho Strauss verbunden, wie dieser in
seinem Essay »Der Plurimi-Faktor« im »Spiegel« 31/2013,
die Rolle der Medien im allgemeinen Kulturverfall
charakterisiert. Auch er prangert mit seinen
»Zeitgenossen« die von den Medien so hoch gelobten in
der Mode schwimmenden Banalitäten an.
Inzwischen 84jährig, zeitlebens der figurativen Plastik
verschrieben, Professor an der Hochschule für Künste in
Bremen, Initiator bedeutender Skulpturenausstellungen
auf dem Wall in Bremen und des Bremer Bildhauerpreises,
überaus erfolgreicher Bildhauer mit vielen Werken im
öffentlichen Raum der verschiedenen Städte Deutschlands
und vertreten in vielen Museen auch außerhalb
Deutschlands, beklagt Otto den Verlust an inhaltlicher
Auseinandersetzung verbunden mit bildnerischer Qualität
und den Vormarsch des Unverbindlichen, des
Spektakulären, den Verfall von Formqualitäten.
Bildhauerei im eigentlichen Sinne verschwindet nach und
nach aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Waldemar Otto hat immer auf politische und
gesellschaftliche Zustände reagiert, mal im besten Sinne
auf agitatorische Weise, mal auch schon ironisierend
oder sarkastisch. Dass er sich nun mit dieser Vehemenz
dem Mainstream des aktuellen Kunstbetriebes widmet, von
dem er in seinem persönlichen Schaffen kaum behindert
wurde, zeigt, dass er diesem Verfall große
gesellschaftliche Bedeutung beimisst.
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Zeitgenosse mit Installation II |
Streitgenossen |
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Designist
mit Sockel ohne Torso |
Installateur |
Das Genie am Knetwerk |
Waldemar Otto
Am 30. März 1929 wird Waldemar Otto geboren. Nach dem
Schulabschluss beginnt Otto 1948 an der Hochschule für
bildende Künste in Berlin mit dem Studium der
Bildhauerei bei Alexander Gonda. Zur gleichen Zeit
lehren an der Hochschule Richard Scheibe, Waldemar
Grzimek und Gustav Seitz. 1952 bis 54 ist Otto
Meisterschüler bei Alexander Gonda, der sich selbst zwar
ganz der Abstraktion zuwendet, seinem Schüler aber das
gegenständliche Arbeiten nicht verwehrt. Ab 1955 ist er
freischaffend als Bildhauer in Berlin tätig,
zwischenzeitlich von 1963 bis 65 ist er Artist in
Residence an der University of Notre Dame in
Indiana/USA. 1973 beruft die Hochschule für Künste in
Bremen Waldemar Otto zum Professor.
Auch durch Sein Wirken wird Bremen zu einem Zentrum
figürlicher Bildhauerei, 1987 und 79 finden auf den
Bremer Wallanlagen zwei bedeutende Ausstellungen
figürlicher Plastik statt, die wesentlich von Waldemar
Otto konzipiert wurden, und dreimal wurde der Bremer
Bildhauerpreis vergeben, an Alfred Hrdlicka, Fritz
Cremer und Waldemar Grzimek. 1981 ist Waldemar Otto
Ehrengast der Villa Massimo in Rom und 1995 erhält er
die Ehrengabe zum Lovis-Corinth-Preis. 1997 findet in
der Eremitage in St. Petersburg eine große Retrospektive
statt und 2001 im Nationalmuseum von Santiago in Chile.
Im Jahre 2000 erhält er den Prix Florance Gold in
Monaco.
Waldemar Otto bleibt zeitlebens bei der figürlichen
Plastik, wobei es ihm gelingt alle emotionale
Betroffenheit, die aus dem Erleben der Realität gespeist
wird, im Anklagenden sowie auch im Lobpreisenden in eine
gültige künstlerische Form zu gießen. Dadurch wird das
Klagende nicht zum Pamphlet und das Preisende nicht zum
Pathos. Seine Formensprache entwickelt sich zu einer
stark reduzierten Körperlichkeit, Achsenverschiebungen
oder Drehungen verleihen den Körpern Spannung und
Räumlichkeit. Diese Art der Plastizität hat eine ganz
eigene Sprache, macht Waldemar Otto unverwechselbar.
Schließlich entstehen die Formen durch die mit den
Händen zur Plastik verarbeiteten Wachstafeln, sie sind
still in der Reduzierung auf die große Form, sind auf
die sinnfälligen Abläufe zwischen Flächen und Wölbungen
konzentriert, ergänzt durch die Behandlung der
Oberfläche, die zum Teil durch die stehengelassene
Gusshaut reizvoll willkürliche Elemente mit bewusst
gesetzten Nuancen verbindet.
Plastiken im öffentlichen Raum von ihm stehen in 26
Städten und seine Werke befinden sich in 23 Museen.
Website des Künstlers:
www.waldemar-otto.de |
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